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Wanderung zur Ruine des ehemaligen Forsthauses Hartröhren

Parkplatz Heidental - Bielstein-Sender - Dreiflußstein - Ruine Forsthaus Hartröhren - Papenwiese - Kastanienallee - Grotenburg - Heidental (11km)

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Vorgeschichte

Ich erinnere mich noch heute daran, wie mein Vater mich einst bat, einen Druck einer Bleistiftzeichnung des ehemaligen Forsthauses Hartröhren von Ludwig Menke für ihn zu rahmen. Da ich selber gerne zeichne, habe ich damals schon die Kunstfertigkeit, mit der dieses Bild angefertigt wurde, sehr bewundert. Mancher mag es als kitschig empfinden, aber damals (1875) war es in der Umgebung des Forsthauses vermutlich tatsächlich so idyllisch, wie es auf diesem Bild dargestellt wird. Heute ist Hartröhren nur noch eine Ruine, die auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes Senne liegt und beinahe in Vergessenheit geraten ist.

Später erfuhr ich, dass dieses Forsthaus nur wenige Kilometer entfernt von meinem Elternhaus gestanden haben muss, bevor es nach dem zweiten Weltkrieg von befreiten russischen Kriegsgefangenen das gleiche Schicksal wie das Jagdschloss Lopshorn erfuhr: Es wurde niedergebrannt. Seit einiger Zeit bewandere ich wieder die Umgebung meiner Geburtsstätte und da fiel mir plötzlich dieses alte Forsthaus wieder ein. Obwohl ich als Kind mit meinen Freunden das Heidental und die anliegende Senne unsicher gemacht habe und glaubte, jeden Strauch und jeden Stein dort zu kennen, ist mir nie eine solche Ruine aufgefallen und in Erinnerung geblieben. Mein nächstes Ziel sollte also der Besuch der Ruine des Forsthauses Hartröhren sein. Zunächst wollte ich aber mehr darüber in Erfahrung bringen. Es wandert sich schöner, wenn man die Erinnerungen jener im Gepäck hat, die über das eigene Ziel in oder aus der Vergangenheit berichtet haben. Für mich ist es dann beinahe so, als würde ich eine Zeitreise antreten und man sieht die Umgebung mit ganz anderen Augen.

Zunächst erfuhr ich vor wenigen Tagen, dass der ehemalige Nachbar meiner Eltern, der Forstbeamte Diekmann, in eben jenem Forsthaus zu Hartröhren um 1920 geboren worden sein soll. Und tatsächlich ergaben meine Recherchen, dass in genau dieser Zeit ein Förster namens Diekmann auf Hartröhren das Sagen hatte. Und die Geschichte dieses Forsthauses zog mich in seinen Bann, zumal mir gerade dieser Bereich der Senne in den letzten Jahren sehr ans Herz gewachsen ist. Ich will mich hier aber nicht in historischen Fakten verlieren, dazu schreibe ich noch einen eigenen Artikel.

Es wäre vermutlich ein leichtes gewesen, die Koordinaten jenes Forsthauses über Google herauszufinden. Dies kam mir aber angesichts der Tradition und Geschichte dieses Ortes frevelhaft vor und so machte ich mich zunächst ohne GPS auf, um die Ruine zu finden. Zunächst fand ich nichts, da ich noch nicht auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes suchte - im Gegensatz zu meiner Jugend mangelte es mir wohl am nötigen Draufgängertum. Heute nehme ich die Warnhinweise bezüglich möglicher Blindgänger abseits der Wege ernst. So lief ich zunächst an meinem Ziel immer wieder vorbei; oft nur in wenigen Metern Entfernung. Heute frage ich mich, warum mir die Formation der Ahorn-Bäume nie aufgefallen ist, die in leichtem Schwung von der Eichenallee in den Wald führt und den früheren Weg säumt, der - wenn man es weiß - noch gut zu erkennen ist. 

Hier zur Einstimmung noch ein Gedicht aus alter Zeit, entstanden kurz nach der Zerstörung des Forsthauses Hartröhren im Jahr 1945. Es hat mich sehr bewegt.
Wer dort in der Nähe wandert, wird es verstehen ... und dann geht es weiter mit dem eigentlichen Bericht.

Ein Forsthaus stand verwunschen
im Teutoburger Wald
,
für beides, Lust und Leides,
ein lieber Aufenthalt
.

Wohl über Bergeshöhen
lag es so friedsam,
und meine Seele
es einst gefangen nahm.

Wo ist das Glück geblieben?
Nur Trümmer findet ihr,
und wie verhaltnes Weinen,
klingt es im Waldrevier.
(Otto Franzmeier)

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Die Wanderung

Schon lange war ich nicht mehr so voller Vorfreude auf eine Tour. Ich bin sogar regelrecht aufgeregt, da ich inzwischen den Hinweis auf die Ahorn-Allee erhalten habe, die mich sicher zu der Ruine des ehemaligen Forsthauses Hartröhren führen würde. Selbst der Dauerregen, mit dem dieser Tag begann, kann die Lust auf diese Wanderung nicht trüben. Einige meiner Freunde und Bekannten hatten mich gebeten, sie auf dieser Tour mitzunehmen. Aber ich möchte alleine sein, wenn ich das alte Gemäuer zum ersten Mal besuchen würde. Nicht einmal meine Windhündin Gipsy nehme ich mit, sie hätte bei Temperaturen unter 10 Grad und dem Regen ohnehin keine große Freude an dieser Wanderung gehabt.

 So schnappe ich mir meinen Fotorucksack und fahre mit dem Auto nach Hiddesen, einem kleinen Vorort von Detmold, in dem ich aufgewachsen bin. Kurz vor dem Ortsende biege ich an der Sternschanze in die Heidentalstraße ein, und stelle meinen Kombi auf einem Parkplatz ab, der rechter Hand hinter den letzten Häusern im Wald liegt. Der Regen hat schon ein wenig nachgelassen und so geht es die Heidentalstraße weiter bis zu der Kreuzung, wo die Straße zum Bielsteinsender beginnt. Ich mag aber nicht auf der Straße hinauflaufen, sondern ziehe einen Waldweg vor. Ich biege also nach rechts auf den Hermannsweg ab. Wenig später halte ich mich links und folge dem Kanzelweg hinauf zum Bielstein. Unten im Tal höre ich schon die ersten Vatertagsgesellschaften, die offenbar schon am frühen Vormittag tüchtig dem Bier zusprachen. Aber hier auf dem steilen und matschigen Weg vorbei am Scharfnacken (281 m) hinauf zur Kanzel (351 m) begegnet mir keine Menschenseele, und ich bin auch nicht böse darum. Wenig später lasse ich den Bielstein, dessen 290 m langer Sendeturm sich heute schon nach wenigen Metern in den tiefhängenden Wolken versteckt, linker Hand zurück. Immer wieder denke ich an dieser Stelle daran, wie der alte Mast im Winter 1985 aufgrund einer vereisten und durch Sturmböen gerissenen Stahltrosse umgestürzt war. Ich hatte es damals auf Dias festgehalten, die aber bei irgendeinem meiner diversen Umzüge verloren gegangen sind.

Vom Bielstein (401 m) aus führt der gut ausgebaute Lönspfad am Dreiflußstein vorbei und mündet in die Eichenallee, auf der man zur Papenwiese gelangt, wie die Lichtung heute genannt wird. Ich bin schon sehr neugierig, ob ich die Ahornbäume entdecken würde, die mir den Weg zur Ruine weisen sollten und tatsächlich, kurz vor der Papenwiese auf der rechten Seite führen einige Ahornbäume in leichtem Schwung in den Wald hinein. Wie hatte ich das bisher nur übersehen können? Man darf es sich jetzt nicht wie eine richtige Allee vorstellen, aber auch wenn nicht mehr alle Bäume stehen, ist es eigentlich nicht zu übersehen. Und ganz offenbar gibt es doch noch Wanderer, die den Weg zur Ruine kennen ... und die Grenze zum Truppenübungsplatz überschreiten.

Auch ich lenke heute meine Schritte entlang der Ahornbäume, die bald in eine nun deutlich erkennbare Buchenallee übergehen. Diese Buchen mussten früher oft zurückgeschnitten worden sein, denn die Stämme sind merkwürdig verdickt und wirken schon ein wenig bizarr. Ihre Äste wölben sich wie ein Dach über mir und bilden auf diese Weise einen wunderschönen grünen Tunnel. Der Waldboden unter meinen Füßen ist durch den Regen aufgeweicht und morastig und auf dem einstigen Weg zum Forsthaus liegen überall herabgefallene Äste, deren Rinde abgeblättert ist und die so beinahe den Eindruck von alten Knochen erwecken. Über dem ganzen Ort liegt eine friedliche Stille, nur der Regen rauscht leise durch die Blätter und ich bin glücklich, denn am Ende der Buchen entdecke ich die Ruine. Und ich spüre es sofort, dies ist ein weiterer dieser seltenen und ganz besonderen Orte an denen man von einer - sagen wir - positiven Energie durchdrungen wird. Ich bin gewiss kein Esoteriker, aber diese Orte gibt es einfach, sie spenden Kraft für die Seele. Die Externsteine sind ebenfalls ein solcher Ort, aber dort spürt man es nur an den Tagen, wo sie nicht von Heerscharen von Touristen belagert werden.

Ich lasse den Frieden noch eine Weile auf mich wirken, denke an all die Wanderer, die hier früher eingekehrt waren. Einem Bericht von Otto Franzmeier zufolge, ehemaliger Lehrer, Dichter und Schriftsteller aus Detmold, kamen manche von ihnen sogar jahrzehntelang regelmäßig hierher und wurden von den Försterfamilien immer freundlich bewirtet. Wie schade, dass dies einst durch Brandstiftung ein Ende fand.

Ich mache noch ein paar Aufnahmen von dem Gemäuer und der Papenwiese, die sich ebenfalls friedlich in Regen und Nebel gehüllt vor mir erstreckt. Dann geht es unter dem Vorsatz zurück, bald wieder zu kommen; nicht nur wegen des schlechten Wetters und der verwackelten Fotos, was den schlechten Lichtverhältnissen zu schulden ist und dem Umstand, dass ich bei dem Regen zu faul bin, das Stativ auszupacken.

Weiter geht es also, die majestätische Kastanienallee hinab, dann nach links über den Klöppingsberg auf den Lieschenpfad, der sich wenig später mit dem Peterstieg vereint und auf den Hermmansweg mündet. Ich bin zu sehr in Gedanken, um jetzt noch die Landschaft in mich aufzunehmen. Vor dem Erreichen des Hermannsdenkmals schrecken mich diverse Gruppen vermeintlicher Väter ab, die betrunken mit ihren Bollerwagen der Denkmalstraße hinauf folgen. So weiche ich vorher nach links auf den Kaiser-Wilhem-Weg aus, der etwas unterhalb der Grotenburg verläuft. Früher nannte man diesen Berg Osning und heute hebt Hermann der Cherusker dort sein Schwert warnend nach Süden.

Wenig später überquere ich die Heidentalstraße, die in einer großen Schleife das gleichnamige Tal umschließt, biege in den Nachtigallenweg ein, weiter bis zum Tretbecken des ehemaligen Kneipp-Kurortes. Von hier sind es nur noch wenige Meter bis zum Parkplatz. Zufrieden und mit der Vorfreude, diesen Bericht hier zu schreiben, mache ich mich auf den Heimweg.

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Historisches von Otto Franzmeier

Wenn als Überschrift eines Artikels der Name „Forsthaus Hartröhren” erscheint, so bin ich gewiss, dass manchem alten Lipper und Detmolder das Herz höher schlägt, dieweil Hartröhren unter allen lippischen Forsthäusern wohl am bekanntesten und beliebtesten war. Tausende sind jahrzehntelang immer wieder dorthin gepilgert, und wohl alle haben von diesem Gang durch unseren herrlichen Teutoburger Wald und von dem Aufenthalt dort oben im gastlichen Forsthaus etwas mitgenommen, was sich nicht beschreiben lässt, was aber dennoch ein Kraftquell ist für die Bereiche der Seele.

Bevor ich meine eigenen Erinnerungen sprechen lasse, greife ich zurück in die Geschichte und lasse mich führen durch den ausgezeichneten, eingehenden und ziemlich umfassenden Beitrag des verstorbenen Regierungsoberinspektors H. A. Sievert im Jahrbuch XIV der „Mitteilungen aus der lippischen Geschichte und Landeskunde” des „Naturwissenschaftlichen Vereins für das Land Lippe”.
Da erfahren wir, dass Hartröhren, 377 m über dem Meere, auf einer Hochebene des Teutoburger Waldes gelegen, bereits 1590 als Weideplatz erwähnt wird zur Zeit des Grafen Simon VI. Der Name ist nicht einwandfrei zu erklären und hat wohl nichts mit Hirschtönen zu tun, sondern bedeutet wahrscheinlich soviel wie Waldrodung. 1617 wurde die heute mit „Papenwiese” bezeichnete Ebene auf Hartröhren in Ackerland verwandelt und zum Anbau von Hafer benutzt für die „Wilden”, womit die Sennepferde gemeint sind. Der Ertrag muss aber wohl nicht erheblich gewesen sein, und der Dreißigjährige Krieg machte ohnehin der Landwirtschaft auf Hartröhren ein Ende. 1697 nach dem Regierungsantritt des Grafen Friedrich Adolph zur Lippe (1697—1718) wurde Hartröhren mehr für Jagdzwecke nutzbar gemacht. 1706 erfahren wir erstmalig etwas über Gebäude dort. Es gab dort einen Vogelherd, wo der Vogelfänger Ortolane, eine Ammernart, fing und fett machte für die lukullischen Bedürfnisse seines gräflichen Herrn und vielleicht auch für andere Leckermäuler.

Am 1. August 1708 veranstaltete der prunkliebende Graf Friedrich Adolph „beym Hartrühren” eine große Jagd, bei der sein hoher Gast, „Ihre Königliche Majestät die verlobte Königin von Portugal, Maria Anna Ertzherzogin von Österreich, in der Hochgräfl. Residenz-Stadt Detmold mit mehr als 128 Kutschen und Wagen unter vielen Schießen, Leuten der Glocken und Aufwartungen der Schützen angelanget und daselbst bis den 2. August geblieben und selbst einige Hirsche niedergeschossen habe.”

Weiter hören wir von einer großen Wildschweinjagd am 17. November 1728 beim Vogelherd Hartröhren, wozu der Kurfürst von Köln mit vielen Domherren und „sonstigen großen Suite” sich eingefunden. Es wurden dabei 29 Wildschweine und 20 Hirsche erlegt.

Größere Gebäude wurden auf Hartröhren erst im Jahre 1711 errichtet. Es bestand dort ein herrschaftliches Jagdhaus, in dem der regierende Herr sich gelegentlich aufhielt, das aber nach und nach verfiel. Der spätere Landesherr, Graf Simon August, hatte Sorgen genug, um die Schuldenwirtschaft seiner Vorgänger wieder gutzumachen. Die Glanzzeit der großen Jagdfeste auf Hartröhren war vorüber. Hinzu kamen die Drangsale des Siebenjährigen Krieges, unter denen Lippe schwer zu leiden hatte.

Ein Jagd- und Forstbeflissener, bald Holzknecht, bald Forstverwalter genannt, hat auf Hartröhren wohl schon immer gewohnt. Seine wirtschaftlichen Verhältnisse waren aber in älterer Zeit nicht gerade beneidenswert. Das jährliche Gehalt des Holzknechtes Limburg betrug um 1780 30 Reichstaler. Viehzucht, Landwirtschaft und Gartenbau verschafften aber die notwendigen Lebensmittel. In der Regel durfte der Forstverwalter dort vier bis sechs Kühe halten, die mit den Sennerpferden und Hirschen auf der Ebene ihr Futter suchten.

Das Forsthaus Hartröhren, wie wir älteren Lipper es kannten und liebten, ist 1791 erbaut worden und „dahin gestellt, wo ehemals der berühmte Vogelherd gestanden” hatte. In ihm ist wohl schon von Anfang an Bier und Branntwein ausgeschenkt worden, ohne dass hierüber ein ordentlicher Kontrakt bestand. Am 9. Dezember 1793 wurde dem Holzknecht Limberg das Versellen des Bieres und Branntweins glasweise bis auf weitere Verfügung frei und ohne Abgabe gestattet. Trotz eines hartnäckig geführten Prozesses seitens des Krügers Wellner in Hiddesen, der sogar die Juristenfakultät der Universität Göttingen im Dezember 1819 beschäftigte, blieb es bei der Schankerlaubnis auch für die Nachfolger.

Hartröhren war schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein gern besuchter Ausflugsort. In dem „Historischgeographischen Handbuch des Fürstentums Lippe”, hrsg. von Friedrich Wilhelm von Colin, Leipzig 1829, steht darüber geschrieben: „Hartröhren, ehemaliges Fürstl. Jagdhaus, jetzt Holzwärterhaus im A. Detmold. Von ersterem sieht man nur noch den Bogen eines Kellers. Hr. Waldschütz Möhring hat daselbst eine gut eingerichtete Wirtschaft, die fleißig von Detmold und anderen Gegenden besucht wird. Auf der Spitze des Berges vor dem Hause genießt man eine weit ausgedehnte vortreffliche Aussicht über den größten Theil der Senne.”

Einer der Nachfolger des erwähnten Waldschützen Möhring erhielt schon im Jahre 1856 den Charakter als Förster, und dessen Nachfolger wiederum, der Förster Tötemeyer, hatte einen heftigen Streit zu führen, wohin die Steuern und kirchlichen Abgaben zu zahlen seien. Hiddesen und Heiligenkirchen stritten sich darum. Schließlich entschied das Konstitorium 1863, dass Hartröhren in die Detmolder Pfarrgemeinde und in die Hiddeser Schulgemeinde einzugliedern sei.
Bald nach dem Regierungsantritt des Fürsten Woldemar (1875) wurde auf dessen Befehl, mit Rücksicht auf die Jagd, die Bewegungsfreiheit der Waldbesucher sehr eingeschränkt. Die Spaziergänger und Touristen, vom Fürsten „Wald- und Forstbummler” genannt, durften nur auf den öffentlichen Wegen im Walde verkehren. Und als am 1. Oktober 1880 der Förster Tötemeyer in den Ruhestand und an seine Stelle der Förster Fricke nach Hartröhren versetzt wurde, befahl Fürst Woldemar, den Wirtschaftsbetrieb auf Hartröhren eingehen zu lassen, da er in einer Fürstlichen Dienstwohnung unpassend sei. Die angeblich mit dem Wirtschaftsbetrieb auf Hartröhren verbundene
Störung der Jagdausübung war die Hauptursache dieser von dem Publikum sehr bedauerten Maßnahme.

Im Thorbeckeschen Führer „Der Teutoburger Wald” (Detmold 1894) ist darüber zu lesen: „Das Forsthaus Hartröhren, zusammengez. aus Hartrödern, hat seit langer Zeit auf die Detmolder und die Besucher des Lipp. Waldes eine bedeutende Anziehungskraft ausgeübt. Es liegt auf einer Hochebene im Walde. Neuerdings ist die sonst stark besuchte Wirtschaft im Forsthause zu Vieler Leidwesen aufgehoben, doch werden kleine Erfrischungen verabreicht.”
Es wurde still auf Hartröhren, und Fürst Woldemar konnte seiner Jagdleidenschaft ungestörter nachgehen. In Detmold aber entstand ein Spottvers, der nach der Melodie: „Als die Römer frech geworden. ” gesungen wurde und lautete:

„Doch es kamen schwere Zeiten! Allen Förstern ließ bedeuten Ein scharfer Ukas von dem Czar, Anzuschreiben klipp und klar: Hier ist keine Wirtschaft!”

Am 1. Oktober 1886 nach Frickes Abgang kam an seine Stelle nach Hartröhren der Förster Möller. Nun wehte ein scharfer Wind: ein Zimmer war stets für die Höchsten Herrschaften bereitzuhalten. Stallung und Wagenremise im Nebengebäude waren für die Fürstlichen Pferde und Wagen bestimmt und durften vom Förster nicht benutzt werden. Als am 1. Mai 1894 der Förster Möller nach Kreuzkrug versetzt wurde und der Förster Gnade an seine Stelle kam, wurde der Betrieb einer Gastwirtschaft dabei ausdrücklich verboten. Als aber Fürst Woldemar am 20. März 1895 starb und Prinz Adolf zu Schaumburg-Lippe am 21. März 1895 die Regentschaft des Landes antrat, wurde das im Juli 1880 für die Forsthäuser Kreuzkrug und Hartröhren erlassene Wirtschatfsverbot im Juni 1895 zur allgemeinen Freude wieder aufgehoben. Nun wurde Hartröhren wieder eine gastliche Stätte, wie sie es vordem war und geblieben ist, bis beim traurigen Ende des zweiten Weltkrieges durch Frevlerhand alles in Feuer aufging und in Schutt und Asche fiel.

Wirtschatfsverbot im Juni 1895 zur allgemeinen Freude wieder aufgehoben. Nun wurde Hartröhren wieder eine gastliche Stätte, wie sie es vordem war und geblieben ist, bis beim traurigen Ende des zweiten Weltkrieges durch Frevlerhand alles in Feuer aufging und in Schutt und Asche fiel.

Wenn ich mich nun versenke in den Schatz meiner eigenen Erinnerungen, die mit Hartröhren verknüpft sind, so muss ich zurückgehen in das letzte Jahrzehnt vor der Jahrhundertwende. Es mag 1895 oder 1896 gewesen sein. Jedenfalls war Fürst Woldemar bereits tot, denn auf Hartröhren war der Wirtschaftsbetrieb wieder im Gange. Da nahm mich eines Tages mein Onkel, der in meinem früheren Elternhause in der Schülertraße in Detmold einen Haudereibetrieb unterhielt, im leichten Wagen mit nach Hartröhren, um Flaschenbier dorthin zu bringen. Wir fuhren durch Hiddesen, kamen bei „Waldminchen” — so nannten wir das „Gasthaus zum Teutoburger Walde” früher — in das wunderschöne Heidental vorbei an der Oberförsterei gleichen Namens und ließen unseren Max gemächlich laufen, solange der Weg es zuließ. Dann begann allmählich die Steigung, und eine großartige Tannenallee nahm uns auf. „In den Steinen” schritten wir neben dem Braunen her und ließen immer wieder halten, bis wir oben durch ein Tor kamen und uns auf einer Hochebene befanden. Da waren wir auch schon am Ziele unserer Fahrt, und das traute Forsthaus, wie es Ludwig Menke um 1875 so meisterlich zeichnete, nahm uns auf.

Seitdem waren wohl mehr als ein Dutzend Jahre vergangen. Ich war inzwischen Lehrer geworden und kam von meiner ersten Lehrerstelle in Bad Salzuflen nach Detmold zurück. In dem dortigen Gesangverein „Hermann” lernte ich drei hervorragende Teutoburger-Wald-Läufer kennen, die den Wald nach allen Richtungen hin kannten: Wilhelm Bödeker, den bekannten und allseits beliebten Taubstummenlehrer, den Buchhändler Hermann Knöner, Freund und Verehrer von Hermann Löns, und „Afrika-Pieper”, einen pensionierten Militärbeamten, der als solcher in den Tropen gewesen war. Durch sie wurde mir Hartröhren lieb und vertraut.

Als ich einst in den Sommerferien 1910 dort war, kehrte „Afrika-Pieper” schon von der Senne her im Forsthaus ein und verkündete mir, dass er bereits zum hundertundsovielten Male in den kaum sieben Monaten des Jahres auf Hartröhren war. Das machte einen solchen Eindruck auf mich, dass ich mich verpflichtete, wenigstens 20mal im gleichen Jahr hinzuwandern. Als aber die Weihnachtsferien begannen, war ich erst 12mal dort gewesen. Es herrschte gerade ein früher Winter und der Weg nach Hartröhren war verschneit und besonders „In den Steinen” stark vereist. Trotzdem bin ich fast täglich hinaufgegangen, um mein Soll zu erfüllen. Förster Leopold Koch, der seit dem 1. November 1898 die Försterstelle auf Hartröhren inne hatte, auch Sangesbruder vom Gesangverein „Hermann”, hatte mich mit einer zusammenklappbaren Laterne versorgt, die man am Mantelknopf tragen konnte. Auch Stahlstollen für die Stiefelabsätze besaß ich. Welche Freude war das dann jedesmal, wenn nach den Strapazen des Aufstiegs oben im gemütlichen Zimmer des Forsthauses die Belohnung kam in Gestalt der trefflich mundenden Stärkung! Das Försterehepaar, dessen einziger Gast ich in diesen weihnachtlichen Tagen war, nahm mich stets sehr herzlich auf.

An den Futterstellen des Wildes war ich Zeuge, wie das Damwild meist recht zutraulich herankam, während das Edelwild sich scheu zurückhielt. Für die Wildschweine war nahe der Papenwiese in einem Tannendickicht eine Vorratshütte angebracht, die mit einem mächtigen Hängeschloss versehen war. Rüttelte man mit diesem Schloss laut an den Holzplanken, dann kamen die Schwarzkittel von allen Seiten mit „öff, öff!” herbei.

Durch meinen Freund Wilhelm Bödeker wurden mir mit der Zeit auch die Wege-und Ortsbezeichnungen in Hartröhrens Umgebung bekannt: Lieschenspfad, Peterstieg, Breite Naht, Röschensgrund usw. Er war es auch, der sich in das fein in Leder gebundene Gästebuch von Hartröhren, das sich im Besitz der Försterfamilie Koch befand, viele Male mit tiefempfundenen Gedichten eintrug.

Es kam allmählich wie von selbst, dass sich um ihn vielleicht von 1910 an ein Kreis von Berufsgenossen und Freunden sammelte, der Freitag für Freitag nach Hartröhren pilgerte, um dort im Forsthause der Geselligkeit zu pflegen und nach dem wohlverdienten Kaffeetrinken ein Spielchen zu machen. Auch ich gehörte mit zu diesem Kreise, der immer mehr die Form eines Vereins ohne Satzungen und Statuten annahm. Er ist mit Hartröhren mehr als ein Vierteljahrhundert verbunden gewesen, hat allen Förster- und Regierungswechsel, Krieg und schwere Zeiten überstanden und hätte wohl noch heute seinen Tagungsort dort oben im trauten Forsthause, wenn das ruchlose Verbrechen nicht 1945 dieses einmalige Idyll zerstört hätte.

Wie manches Mal — es mögen fast tausend Freitagswanderungen herauskommen — sind wir durchs herrliche Heidental gezogen, haben dem nur zeitweise fließenden „Bölkehals” unsere Reverenz erwiesen, erfreuten uns am friedlich grasenden Damwild, bei dem auch ab und dann der weiße Schaufler war, ließen die weihevolle Stimmung der königlichen Tannenallee auf uns wirken und brachten die letzte starke Steigerung „In den Steinen” oftmals nur dadurch nicht so fühlbar hinter uns, dass uns unser gemeinsamer Freund Otto Vietmeier durch seine köstlichen, urwüchsigen Erzählungen gewissermaßen hinaufzog.

Auf der Hochebene durchschritten wir die über hundertjährige lauschige Hainbuchenallee und waren im gastlichen Orte.
Es war in Detmold und Umgebung ziemlich bekannt geworden, dass am Freitagnachmittag den Lehrern, zu denen auch einige Nichtlehrer gehörten, das Gastzimmer des Forsthauses von Hartröhren zur Verfügung stand. Doch bei gutem Wetter waren ja die Plätze vor dem Forsthause und draußen unter den Baumriesen noch da. Im Notfall gab es auch noch ein zweites, später angebautes Gastzimmer, das aber nicht so gemütlich war. Worin bestand nun der eigenartige Zauber von Hartröhren? Immer wieder woben dort geheimnisvoller Friede, wohltuende Stille und trauliche Gemütlichkeit, und jeder, der davon einen Hauch verspüren durfte, ging beschenkt von dannen.
Die alljährlichen Feiern dort oben kommen mir in die Erinnerung, wenn eine „express gemachte Rinderwurst” unserer wartete oder ein saftiger Wildschweinbraten uns erquickte. Dann sangen wir auch wohl vierstimmig voller Begeisterung „Mein Herz, tu dich auf!” oder „Ach du klarblauer Himmel” oder wie die Lieder hießen und waren restlos glücklich. Auch die schönen Weihnachtsfeiern dort dürfen nicht vergessen werden. Die Frau Försterin hatte einen Tannenbaum für uns geschmückt, im Ofen bullerte ein mächtiges Holzfeuer, die alten Weihnachtslieder erklangen, und Wilhelm Bödeker, der nicht nur ein Dichter, sondern auch ein begnadeter Redner war, hielt.die weihnachtliche Ansprache.

Außer unserer Vereinigung gab es noch eine zweite, die sich wöchentlich auf Hartröhren traf, und zwar am Sonnabend. Auch das war in Detmold bekannt, handelte es sich um die Herren Räte, Geheim- und Oberräte der Lippischen Regierung und der Fürstlichen Rentkammer, die mit den benachbarten Forstmeistern unter Führung Seiner Exzellenz des Herrn Staatsministers Freiherrn von Gevekot um 1910 dort unter dem Namen „ Steigerklub” tagten, pokulierten und fröhlich waren. Vorsitzender dieser erlesenen Gesellschaft war aber nicht der Herr Minister, sondern dessen Freund, Professor Dr. Heinrich Thobecke. Er war ein vorzüglicher Kenner des Waldes und verdienter Verfasser des bereits erwähnten Führers „Der Teutoburger Wald”. Wie der Herr Gymnasial-Professor und nachmalige Geheime Studienrat unter die Regierungsleute kam, vermag ich nicht zu sagen. Es ging das Gerücht, hier oben auf Hartröhren würde an den Sonnabenden nicht nur gefeiert, sondern nebenher auch das Lippische Land regiert, und der „Meister vom Stuhle” der Freimaurerloge in Detmold, „Der alte Heini”, wie der Spitzname des Herrn Professors war, wollte wohl so ein wenig mitregieren. Ich muss zu seiner Ehre voller Dankbarkeit sagen, dass er mir persönlich stets mit viel Freundlichkeit begegnet ist, als ich 1910 an die damals bestehende Vorschule des Leopoldinums berufen wurde. Wie lange nach dem Tode des Staatsministers Freiherrn von Gevekot im Jahre 1912 der „Steigerklub” auf Hartröhren noch weiterbestanden hat, ist mir nicht bekannt.

Die Jahre auf Hartröhren gingen dahin. Als Förster Koch am 1. November 1914 die Försterstelle am Donoper Teich übernahm, wurde Förster Diekmann sein Nachfolger auf Hartröhren, und schon am 1. Oktober 1922 folgte ihm Förster Brand und diesem 1928 der aus Bayern stammende Förster Karl Heindl. Vielleicht hatte der häufige Försterwechsel nach dem ersten Weltkriege damit zu tun, dass Hartröhren mit der gesamten Oberförsterei Berlebeck infolge der politischen Umwälzung aus dem Vermögen des nunmehrigen Freistaates Lippe in die Fideikommißverwaltung des einst regierenden Fürstlichen Hauses als ausschließliches Eigentum übergegangen war.

Selbstverständlich hatte der erste Weltkrieg den Gästestrom auf Hartröhren arg verkleinert und zuletzt fast zum Versiegen gebracht. Die alten Gäste aber hielten dem Forsthaus oben im Walde die Treue und waren glücklich, nach den Schrecknissen des Krieges hier wieder eine Stätte des Friedens und der Entspannung zu haben. Allen Förstern und ihren Frauen muss nachgerühmt werden, dass sie sich bemüht haben, Hartröhrens guten Ruf aufrecht zu erhalten, soweit es eben möglich war. Auch in den Jahren des Dritten Reiches war und blieb es gleichsam eine Oase des Friedens.

Dann kam der zweite Weltkrieg. Förster Heindl übernahm eine gehobene Forststelle im Osten, und an seine Stelle trat der Förster Blank aus Lopshorn, der nun wegen des nahenden Zusammenbruchs und der immer mehr zunehmenden Unsicherheit keinen leichten Posten hatte. Als in den Apriltagen 1945 die Amerikaner vom Süden her in unser Lipperland einbrachen, machten sich die Kriegsgefangenen im Lager Augustdorf frei, raubten und plünderten, wo sie nur konnten und fanden leider auch den Weg nach Hartröhren. Was sich dort in jenen gefährlichen Stunden abgespielt hat, kann ich nur ahnen. Als aber die Nachricht nach Detmold kam, dass neben dem Jagdschloss Lopshorn auch Hartröhren, unser Hartröhren, ein Raub der Flammen geworden war, hätten wir weinen mögen, wir, die es geliebt hatten seit mehr als drei Jahrzehnten. Es ist nicht wiedererstanden gleich Lopshorn.

Ich habe es nicht über das Herz gebracht, während der folgenden Jahre die Stätte wieder zu besuchen, wo Hartröhren einst stand. Einer unserer Wanderfreunde aber war dort und kannte die Örtlichkeit kaum wieder. Vom Forsthaus, unseren Waldparadies, war nichts mehr vorhanden. Nur von der Scheune ragten noch die Grundmauern aus Gestrüpp und Kräutern hervor. Ein Fuchs schnürte über die Mauern, Bussarde kreisten hoch darüber hin, und irgendwo rief die Eule ihr Totengräberlied.

Ein Forsthaus Stand verwunschen im Teutoburger Wald,
für beides, Lust und Leides,ein lieber Aufenthalt.

Wohl über Bergeshöhen lag es so friedesam,
und meine ganze Seele es einst gefangen nahm.

Wo ist dies Glück geblieben?
Nur Trümmer findet ihr, und wie
verhalt’nes Weinen klagt es im Waldrevier.

Quelle: Heimatland Lippe, März 1963 von Otto Franzmeier

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